Keine guten Noten für das Jobcenter Rhein‐Erft
Umfrage bei Hartz IV‐Empfängern abgeschlossen und ausgewertet. Schlechte Erreichbarkeit der Sachbearbeiter, verloren gegangene Unterlagen, Dauer der Antragsbearbeitung, schlechte Verständlichkeit der Bescheide sind Problemfelder.
Umfrage bei Hartz IV‐Empfängern abgeschlossen und ausgewertet
Schlechte Erreichbarkeit der Sachbearbeiter, verloren gegangene Unterlagen, Dauer der
Antragsbearbeitung, schlechte Verständlichkeit der Bescheide sind Problemfelder
Die „Kunden“‐Zufriedenheitsumfrage zur Bewertung der Arbeit der Jobcenter im Rhein‐Erft‐Kreis wurde abgeschlossen. 148 Personen haben sich daran beteiligt. Durchgeführt wurde sie von der Linksfraktion im Kreistag. Im Zeitraum 22. März bis 28. April wurden von 12 ehrenamtlichen Helfern insgesamt rund 350 Fragebögen vor den Jobcentern im Kreis und vor Tafeln an Hartz IV‐Empfänger verteilt. Leider konnte die Umfrage nicht im Jobcenter selbst durchgeführt werden. Der Geschäftsführer des Jobcenters, Herr Botz, hatte dies der Linksfraktion untersagt. 62 Personen antworteten per Internet und nutzen den Onlinefragebogen von der Webseite der Kreistagsfraktion. 86 schickten den Fragebogen per Brief zurück. Das ergibt eine Rücklaufquote von einem Viertel. Die Umfrage war anonym; das heißt, dass Rückschlüsse vom Fragebogen auf einzelne
Personen nicht möglich waren und sind. Die Antworten verteilen sich fast exakt zur Hälfte auf Frauen und Männer mit einem Durchschnittsalter über alle von 42,7 Jahren; bei Männern um die 44 Jahre, bei Frauen um die 41 Jahre. Viele Frauen dabei alleinerziehend mit Kindern. Insgesamt gaben 51% der Antwortenden an, in Hartz IV‐Familien (Bedarfsgemeinschaften) zu leben; die andere Hälfte gab an, allein zu leben. Exakt zwei Drittel gaben an, Deutsche zu sein. 13% der Befragten waren Menschen mit Behinderung. 71% bezogen länger als 1 Jahr Hartz IV‐Leistungen; 58% gingen schon mehr als zwei Jahre zum Jobcenter und exakt ein Drittel gab an, schon über 5 Jahre Hartz IV‐Leistungen zu bekommen. 5% der Befragten waren Erstantragsteller.
„Die Umfrage ist nach wissenschaftlichen Kriterien zwar nicht vollständig repräsentativ, aber als Stichprobe gleichwohl sehr aussagekräftig“, betont der Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Hans Decruppe, „denn das Ergebnis bestätigt unsere Erfahrungen aus der Sozialberatung und aus vielen Gesprächen mit Hartz IV‐Berechtigten. Und die Umfrage spiegelt die Struktur der Langzeitarbeitslosigkeit im Kreis wieder.“
Technisch wurden die Antwortdaten in Excel erfasst und mit der Statistiksoftware „R“ ausgewertet und dokumentiert. Folgende Themen stechen bei der Auswertung besonders hervor:
* In der Kritik steht zunächst die Erreichbarkeit der Sachbearbeiter auf direktem oder telefonischen Wege. Fast 50% bewerten die telefonische Erreichbarkeit mit ungenügend; weitere 22% mit mangelhaft. Die persönliche Erreichbarkeit ist mit 31% ungenügend nicht viel besser. Stattdessen müssen auch bei
Nichtigkeiten Termine vereinbart werden, verbunden mit langen Wartezeiten.
* 60% der „Kunden“ bewerten den Umgangston im Jobcenter ihnen gegenüber mit den Schulnoten ausreichend und schlechter; darunter jeder Vierte mit ungenügend. Das heißt: Das Klima und der Umgang sind alles andere als gut.
* Nur 38% der Befragten sind mit der Beratung zufrieden oder finden sie gut bzw. sehr gut. Das heißt: Eine Beratung durch Sachbearbeiter findet aus Sicht der Betroffenen praktisch nicht statt oder wird von der großen Mehrheit als nicht hilfreich für ihre persönliche Situation und Arbeitssuche angesehen.
* Die Antragsformulare und Schreiben des Jobcenters werden zwar zu zwei Dritteln als ausreichend verständlich bewertet. Das heißt aber zugleich: Ein Drittel versteht die Formulare und Schreiben nicht richtig. Falschangaben und Missverständnisse sind damit vorprogrammiert.
* 40% bemängeln die Verständlichkeit der Bescheide als mangelhaft oder ungenügend. Dies führt zu einer hohen Widerspruchsquote. Dies auch zu Recht, denn auch für Juristen ist ein Großteil der Bescheide nicht aus sich heraus verständlich. Die Bescheide bestehen aus einer Aneinanderreihung von formelhaften, letztlich im konkreten Fall nichtssagenden Textbausteinen. Es fehlt vor allem häufig an einer nachvollziehbaren Begründung, was die Bescheide gemäß § 35 SGB X rechtswidrig und damit angreifbar macht. Jeden Monat werden daher mehrere Hundert Rechtsmittel eingelegt. Allein im ersten Quartal 2017 waren es beim Jobcenter Rhein‐Erft 1002 Widersprüche, 275 Klagen und 70 Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht.
* Für 56% der Befragten dauert die Antragsbearbeitung zu lange. (Bewertung mangelhaft oder ungenügend).
* Ein besonders Problem beim Jobcenter ist der Verlust von nachweislich (z.B. per Telefax oder unter Zeugen) eingereichten Unterlagen. 70% geben an, dass das bei Ihnen schon vorgekommen ist. Trotz ausdrücklicher Bitte erhalten nur 40% der Antragsteller eine Empfangsbestätigung für eingereichte Unterlagen.
* Über unpünktliche Zahlungen der Hartz IV‐Leistungen beklagt sich die Hälfte der Befragten. Exakt 50% geben an, dass die Zahlungen immer pünktlich erfolgen. Bei jeweils rund einem Viertel kommen die Zahlungen häufig bzw. nur manchmal pünktlich an. Hartz-IV‐Empfänger verfügen aber regelmäßig über keinerlei finanzielle Rücklagen. Verzögert sich die Leistung des Jobcenters, kann dies bei termingebundenen Zahlungspflichten zu einem gravierenden Problem werden. Wird z.B. bei der Miete der Zahlungstermin wiederholt nicht eingehalten, kann dies zur Kündigung der Wohnung führen mit allen Folgeproblemen, Rechtsstreiten etc., die daran hängen. Die Gesamtbewertung des Jobcenter Rhein‐Erft fällt demgemäß aus:
‐ 3% geben dem Jobcenter die Note sehr gut.
‐ 13% die Note gut.
‐ 13% ebenfalls die Note befriedigend.
‐ 19% die Note ausreichend.
‐ 28% die Note mangelhaft und
‐ 24% die Note ungenügend.
Daneben gab es für die Befragten die Möglichkeit, in einem Feld ihre persönliche Meinung zu sagen und auf besondere Aspekte, die ihnen subjektiv wichtig waren, hinzuweisen. Es lohnt sich, diese zu lesen. DIE LINKE. im Kreistag wird die Auswertung der Befragung und die persönlichen Anmerkungen und Kommentare auf die Webseite www.die‐linke‐im‐kreistag‐rhein‐erft.de stellen und veröffentlichen.
In einer persönlichen Anmerkung heißt es bezeichnend und bringt es für viele auf den Punkt:
„Sorry, wenn es manchmal emotional wurde. Aber es tut gut sich diesen Frust mal von der Seele zu schreiben. Wem soll man es sonst sagen! Danke, daß Sie sich für unsere Befindlichkeit interessieren.“
Von vielen hat DIE LINKE. vor den Jobcenter‐Türen solche Worte gehört. Man hat sich freut, dass sich überhaupt jemand für ihre Situation als Hartz IV‐Bezieher interessiert. Dabei leben nach dem Stand für Februar 2017 im Rhein‐Erft‐Kreis 38.724 Menschen in 18.671 Hartz IV‐Familien (Bedarfsgemein‐2schaften). Das heißt: Im Rhein‐Erft‐Kreis müssen mehr Menschen von Hartz IV leben als die Stadt Wesseling Einwohner hat.
„Die Umfrage zeigt, dass sich bei Hartz IV und im Jobcenter dringend was ändern muss“, sagt Decruppe. „Die Strukturen stimmen nicht. Das Hartz IV‐System krankt und es macht alle Beteiligten krank. Die Sachbearbeiter sind bürokratisch überlastet, teilweise auch fachlich überfordert. Der häufige Sachbearbeiterwechsel ist dafür ein Anzeichen. Und viele Mitarbeiter, die engagiert angefangen haben, haben resigniert. Und viele „Kunden“ erst Recht, weil sie nicht erkennen können, wie sie aus der Arbeitslosenfalle entkommen können. Viele fühlen sich bürokratisch schikaniert und menschlich gedemütigt. Wir werden daher zum einen das Gespräch mit dem Jobcenter suchen. Der Geschäftsführer hat uns das Gespräch angeboten und wir werden es wahrnehmen und Herrn Botz zu einer unserer nächsten Fraktionssitzungen einladen. Wir werden die Auswertung der Umfrage zum anderen in den Sozialausschuss des Kreistages tragen und dort beantragen, dass die Zufriedenheitsumfrage diskutiert und vom Jobcenter fortgeführt wird.“ Um die Situation im Jobcenter kurzfristig zu verbessern, sind aus Sicht der LINKEN folgende Maßnahmen dringend erforderlich:
1. Entbürokratisierung der Verwaltungsvorgänge, damit mehr Personal für die Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.
2. Pauschalierung von Leistungen und längere Bewilligungszeiträume, damit die Sachbearbeiter entlastet werden.
3. Abschaffung der Sanktionen, d.h. der Leistungskürzungen unter das Existenzminimum, weil das verfassungswidrig ist.
4. Schaffung eines öffentlichen sowie öffentlich geförderten Beschäftigungssektors zu
Tarifbedingungen, weil der reguläre Arbeitsmarkt nicht bereit und in der Lage ist, Langzeit‐arbeitslose wieder zu beschäftigen.
5. Spezifische Unterstützung und Hilfen für Alleinerziehende, vor allem für Frauen mit Kindern, weil diese sonst keiner Arbeit nachgehen können.
Dass es hierzu Änderungen in der Gesetzgebung – vor allem aber einer grundlegenden Änderung der Haltung der Politik gegenüber Langzeitarbeitslosen ‐ bedarf, macht diese Forderungen zu einem wichtigen sozialen Anliegen in den laufenden Wahlkämpfen zum Landtag NRW und Bundestag.
Bergheim, den 03.05.2017
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