Hype um Hyperscaler: Zur Absicht von Microsoft, Groß-Rechenzentren im Rheinischen Revier anzusiedeln

Stellungnahme von Hans Decruppe (Fraktionsvorsitzender) am 19.02.2024:

Die Meldung der letzten Woche, dass Microsoft beabsichtigt, drei Groß-Rechenzentren (sog. Hyperscaler) im Rheinischen Revier, davon zwei im Rhein-Erft-Kreis zu errichten, hat Euphorie ausgelöst. Die Endorphine scheinen bei manchen Lokal- und Landespolitikern durchgegangen zu sein.

Die Milliarden-Investition ist in der Tat zu begrüßen und lässt Chancen erkennen, im Strukturwandel im Rheinischen Revier endlich einen größeren Schritt voranzukommen. Vor allem Bergheim und Bedburg erwarten, davon profitieren zu können. Einen Imagegewinn als „Industrie- und IT-Standort“ wird es sicherlich geben.

Wie weit das Microsoft-Investment für den regionalen Strukturwandel allerdings ein großer Schritt nach vorn wird, bleibt unklar. Kritische Punkte und „Achillesfersen“, die technisch und strukturell mit Digitalisierung verbunden sind, werden in den Berichten und den politischen Stellungnahmen leider nicht, in jedem Fall nicht mit der notwendigen Deutlichkeit angesprochen. Z.T. werden sogar unseriöse Angaben und unbegründete Erwartungen geäußert, z.B. wenn es um die Beschäftigungseffekte geht.

Als Fraktionsvorsitzender der Linken im Kreistag und als Mitglied des zuständigen Fachausschusses für Regionale Entwicklung im Kreistag Rhein-Erft möchte ich daher aus fachlicher Sicht einige kritische Aspekte anmerken, die in der öffentlichen Diskussion zu dem Thema bislang völlig zu Unrecht ausgeblendet wurden.

Schöngefärbte Prognose der Arbeitsplatzentwicklung

In Bezug auf die erhoffte Beschäftigungsentwicklung ist zunächst daran zu erinnern, dass nach verlautbarten Berechnungen der Landesregierung NRW für die infolge des Braunkohleausstiegs im Rheinischen Revier wegfallenden Jobs mindestens 27.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollten. So die Erwartung in 2021. Davon war bislang im Strukturwandel herzlich wenig zu erkennen. Jetzt ist die Rede von 300 neuen Arbeitsplätzen, die zusammen an den Standorten der Rechenzentren in Bergheim und Bedburg entstehen sollen. Wie die Landeswirtschaftsministerin Neubaur (Grüne) auf Anfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sagte, sei durch das Investment von Microsoft und weitere sich daraus ergebende Ansiedlungen anderer Unternehmen im gesamten Rheinischen Revier mit insgesamt rund 1.000 Stellen zu rechnen. Im Klartext: Neben Bedburg und Bergheim wären das rund 700 weitere Arbeitsplätze durch den dritten Standort eines Microsoft-Rechenzentrums und durch sog. „Sekundäreffekte“ bei anderen Unternehmen. Bei einem milliardenschweren Investitionsvolumen zeigt dieser marginale Beschäftigungseffekt, dass die Digitalisierung natürlich äußerst personalarm daherkommt.

Dagegen spricht der Berater Stadler, der im vergangenen Jahr für den Rhein-Erft- und den Rhein-Kreis Neuss ein Gutachten (sog. „Masterplan“) erstellt hat, in einem Interview mit dem Stadtanzeiger von „bis zu 2500 neuen, zukunftsfähigen Arbeitsplätzen“ allein im Rhein-Erft-Kreis, die durch Digitalparks entstehen könnten. Die deutliche Abweichung von den Angaben des Landeswirtschaftsministeriums zeigt, wie spekulativ, d.h. unseriös argumentiert wird. Die Behauptung von Stadler ist empirisch durch Fakten nicht belegt und nicht belegbar, also reine Schönfärberei.

Ich habe als anwaltlicher Berater von Betriebsräten bei dutzenden Umstrukturierungen oder Krisensituationen von Großunternehmen meine entsprechenden Erfahrung mit Gutachtern gemacht, die sich zu Beschäftigtenentwicklungen geäußert haben. Solche Gutachten wie der Masterplan haben klare Funktionen: Sie bedienen die Wünsche und Erwartungshaltungen der Auftraggeber, sorgen dafür, dass Kritik erst gar nicht aufkommt, und haben die wissenschaftliche Qualität eines Wetterberichts, der zwölf Monate im Voraus erstellt wird.

Immenser Energiebedarf und extremer Kühlwasserverbrauch

Als weiterer kritischer Punkt ist der extrem hohe und wachsende Energiebedarf durch die Digitalisierungsprozesse zu nennen. Eine Folge der stetig wachsenden Zahl der Rechenzentren und deren kontinuierlich gesteigerte Rechenkapazitäten infolge höherer Prozessorleistungen. Nach Berechnungen digitaler Branchenverbände ist bis 2030 von einem Energiebedarf allein durch Rechenzentren in Deutschland von rund 27 bis 30 TWh (Terra-Wattstunden) pro Jahr auszugehen. Dabei entfallen weltweit schon jetzt auf sämtliche Rechenzentren 4 % des globalen Energieeinsatzes. In der Bundesrepublik sind es aktuell rund 20 TWh/Jahr, d.h. bereits über 0,55 % des nationalen Energieverbrauchs. Und jeder weitere Schritt der Umstellung auf Elektroenergienutzung, wie vorrangig bei der Elektrifizierung des Verkehrssektors und in anderen industriellen Sektoren, führt dazu, dass der Energiebedarf weiter exponentiell wachsen wird. Energieeinsparung wird bei den digital getriebenen Transformationsprozessen zum Schlagwort aus der Vergangenheit. Dabei ist die Bundesregierung aktuell schon nicht mal in der Lage, ausreichende Energiesicherheit zu gewährleisten. Vielerorts sind die Netze den wachsenden Energieeinspeisungen und den geforderten Energieleistungen nicht gewachsen. Vor diesem Hintergrund ist auch die weitere Steigerung der Energiepreise zu befürchten. Akzeptable Energiepreise für die Industrie (und auch für die Bürger) sind nicht in Sicht. Energiebedarf, das ist eine Achillesferse der Digitalisierung.

Nicht weniger bedeutsam ist der kaum beachtete extreme Kühlwasserverbrauch durch Groß-Rechenzentren. Der vorstehend beschriebene hohe Energieeinsatz erfordert besonders effektive Kühlsysteme, um die Abwärme der Rechner abzutransportieren. Werden Verdunstungskühlsysteme eingesetzt, muss je kWh Energieverbrauch mit 1,8 l Kühlwasser gerechnet werden. Damit dürfte z.B. das für Bergheim angedachte Rechenzentren einen Wasserverbrauch haben, der dem Verbrauch aller Einwohner von Bergheim entsprechen dürfte. Praktisch eine Verdoppelung des lokalen Ressourcenverbrauchs. Die Frage, woher das Kühlwasser für die neuen Rechenzentren kommen soll, zumal der Grundwasserpegel im Rheinischen Revier durch die Tagebaue schon jetzt auf Jahrzehnte abgesenkt bleibt und ein Auffüllen der Tagebaue durch riesige Wassermengen vorgesehen ist, wird erst gar nicht aufgeworfen, geschweige denn beantwortet. Eine weitere Achillesferse, die nicht beleuchtet wird.

Bescheidene Vorteile für die Kommunen

Nicht zuletzt wird bei aller Euphorie verdrängt, dass die kommunalwirtschaftlichen Vorteile, sprich: das Steueraufkommen der Standortkommunen bescheiden sein wird. – Bergheim und Bedburg müssten es eigentlich besser wissen, denn zu dieser Problematik liegt seit September 2023 ein Gutachten im Landeswirtschaftsministerium NRW vor. In diesem Gutachten heißt es ziemlich ernüchternd:

„(…) dürften die Kommunen daher von der Ansiedlung von Unternehmen, die Rechenzentren betreiben, aus gewerbesteuerlicher Sicht im Vergleich nur sehr begrenzt profitieren. Würde ein klassisches Industriegewerbe ggf. mit hunderten von Arbeitnehmern angesiedelt, so wäre das Gewerbesteueraufkommen – jedenfalls nach Maßgabe der derzeit geltenden gewerbesteuerlichen Zerlegungsmaßstäbe – für die Gemeinden wohl regelmäßig höher unter Beachtung der beträchtlichen Größe der von den Rechenzentrumsbetreibern für die Nutzung erforderlichen Grundstücksflächen.

Als problematisch erweisen sich die klassischen Anknüpfungspunkte der Gewerbesteuer, die der Verwirklichung dieser Zielsetzung entgegenstehen können. Denn klassischer Maßstab für die Zerlegung der Gewerbesteuer in den Fällen, in denen Betriebsstätten des Unternehmens in mehreren Gemeinden unterhalten werden, ist vorrangig die Summe der Arbeitslöhne, die an die Anzahl der in der Betriebsstätte beschäftigten Arbeitnehmer anknüpft (vgl. § 29 Gewerbesteuergesetz (GewStG)).

Werden Rechenzentren mithin wie bislang in der Praxis üblich von einer nicht in der Standortkommune angesiedelten Betreibergesellschaft betrieben und sind vor Ort im Rechenzentrum selbst nur wenige Arbeitnehmer tätig, so besteht das Risiko, dass die Standortkommune in nur sehr geringem Umfang an der Wertschöpfung und damit am Gewerbesteueraufkommen partizipiert, obwohl sie den Betreibern der Rechenzentren großflächige Grundstücke zur Verfügung stellt und den energieintensiven Betrieb der Rechenzentren akzeptiert.“

Dieses für einen erfolgreichen Strukturwandel mitentscheidende Steuer-Thema – aus kommunaler Sicht ein Pferdefuß der Digitalisierung – wurde und wird bislang weder in der Öffentlichkeit noch von den kommunalen Entscheidungsträgern im Kreis problematisiert. Das erwähnte Gutachtem der Landesregierung verweist zudem für multinationale Konzerne – wie Microsoft – auf das handfeste Problem der Gewinnverlagerung in Billig-Steuer-Länder. Mehrere solche Länder mit Niedrigsteuern für Unternehmen haben wir in unmittelbarer Nachbarschaft, wie die Niederlande, Irland oder Luxemburg. Die Einführung der Mindeststeuer durch die EU von 15 % auf Unternehmensgewinne hilft da nur wenig. Das vorerwähnte Gutachten schlägt deshalb vor, dass neben der Gewerbesteuer (also zusätzlich und aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht als Steuer) verbindliche Garantiezahlungen an die Kommunen vereinbart werden, damit nicht nur der Digitalkonzern, sondern auch die betroffenen Kommunen am wirtschaftlichen Vorteil solcher Rechenzentren angemessen teilhaben.

Es wird Zeit, dass jetzt in den Kommunen die Karten auf den Tisch gelegt werden, für mehr Transparenz und demokratische Beteiligung der kommunalen Mandatsträger und der Bürgerinnen und Bürger. Das jedenfalls fordern wir als Fraktion Die Linke im Kreistag.

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