Zum Austritt von Hans Decruppe aus der Partei DIE LINKE

07.02.2024

Am 07.02.2005 bin ich der Partei DIE LINKE, genauer gesagt deren Vorläufer-Organisation und Quell-Partei „Arbeit & Soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (WASG)“ beigetreten. Am 10.02.2005 habe ich den Kreisverband Rhein-Erft mitgegründet und als dessen Delegierter am 16.06.2007 in Berlin mit der Fusion von WASG und Linkspartei.PDS die Partei DIE LINKE. Seit 2009 bin ich Mitglied des Kreistags Rhein-Erft und Vorsitzender der Kreistagsfraktion. Ich war sechs Jahre Mitglied des Bundesausschusses und von 2018 bis 2022 stellvertretender Landessprecher im Landesvorstand NRW.

Mit dem heutigen Tag erkläre ich gemäß § 3 Abs. 1 u 2 der Bundessatzung meinen

Austritt aus der Partei DIE LINKE

und beende meine Mitgliedschaft in allen innerparteilichen Strukturen, den innerparteilichen Zusammenschlüssen und Arbeitsgemeinschaften.

Zugleich widerrufe ich hiermit alle zugunsten der Partei, ihren Untergliederungen und Zusammenschlüssen erteilte Einzugsermächtigungen bzgl. meiner Bankverbindung.

Ich erfahre schon länger, dass ich eine randständige inhaltliche Position in einer gesellschaftlich zunehmend randständigen, weil zunehmend als wahlpolitisch irrelevant angesehenen Partei einnehme. Einer Partei, die gerade von denjenigen Menschen als nicht mehr wählbar angesehen wird, in deren Interesse ich ursprünglich – vor 19 Jahren – in die WASG eingetreten bin und als Delegierter auf dem Gründungsparteitag der Linken in 2007 Hoffnung setzte. Diese Menschen, die kleinen Leute, vor allem Arbeitnehmer und Rentner und sozial Ausgegrenzte, verbinden mit dieser Partei heute keine politischen Erwartungen mehr. So ist meine Erfahrung.

Trotz guter Arbeit nicht weniger und sozialem und kommunalpolitischen Engagements vielerorts. Maßgeblich für die Wahrnehmung und Bewertung der Partei ist nicht das, sondern das Image, der Habitus und die Kultur der Bundespartei, die mit derjenigen, die für uns (wahl-)politisch relevant sein sollten, nichts oder nur sehr wenig zu tun hat.

Wenn infratest dimap bei der Bundestagswahl 2021 ermittelte, dass die Kompetenzzuweisung an die Partei bei sozialer Gerechtigkeit um fast ein Drittel (nämlich um 5 Prozent-Punkte) auf nur noch 11 % bei den Wählern gesunken war, und die Forschungsgruppe Wahlen gleichzeitig feststellte, dass die Zahl der Wähler unter Gewerkschaftern um 5,2 Prozent-Punkte auf nur noch 6,6 % fast halbiert wurde, wäre ein Umdenken längst notwendig und noch möglich gewesen. In 2009 lag die Zustimmung unter Gewerkschaftsmitgliedern bei 15 % und bei der Wahl in 2017 immerhin noch bei 12 %.

Die Erklärung von Tobias Bank vom 10.01.24 über seinen Rücktritt als Bundesgeschäftsführer, der aus einer völlig anderen Denkrichtung kommt als ich, hat im Kern meine und von anderen bereits vor Jahren wiederholt geäußerte Kritik am verhängnisvollen Kurs der Partei vollauf bestätigt, wenn er schreibt:

„Der aktuelle Kurs, fast alles auf Bewegungen außerhalb von Parlamenten sowie auf städtische Milieus zu konzentrieren und Wahlergebnisse scheinbar nicht mehr als Maßstab für politischen Erfolg zu sehen, ist nicht mein Verständnis von Politik. Unter diesen Bedingungen möchte ich nicht weiter Feigenblatt eines vermeintlichen innerparteilichen Meinungspluralismus sein.“

Erinnern möchte ich an dieser Stelle an die Erklärung von mir gemeinsam mit zwölf anderen Mitgliedern des Landesvorstands NRW vom 22.10.2022, in der wir eingehend begründet haben, warum wir nicht erneut zum Landesvorstand kandidieren wollten.

Dass Tobias Bank jetzt durch Katina Schubert und Ates Güpinar ersetzt wurde, den Vertretern der Regierungs- und der Bewegungslinken, wird den selbstzerstörerischen Kurs auf Bundesebene beschleunigen. Und der Beitrag von Jan Schlemermeyer, dem persönlichen Mitarbeiter des Parteivorsitzenden Martin Schirdewan, im nd vom 19.01.2024 gibt dazu den notwendigen ideologischen Saunaaufguss zwecks politischer Vernebelung und verletzender Diffamierung, um dem Meinungspluralismus innerhalb der Partei vollends den Garaus machen zu können. Es geht ihm um Vollendung der Parteispaltung („auf Trennschärfe setzen“, nennt er das), also darum die letzten, die dem Kurs des Parteivorstandes kritisch gegenüberstehen, rauszu-drängen. Das nenne ich „autoritär in antiautoritärer Verkleidung.“ Eine heuchlerische Kultur.

Der langjährige Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung Michael Brie hat am 29.01.24 im nd auf Schlemermeyer erwidert und u.a. zutreffend analysiert:

„Die Partei Die Linke entstand aus einer breiten Volksbewegung gegen die Agenda 2010 und entwickelte Züge einer dezidiert linken Klassenpartei in Verbindung mit Aktiven aus sozialen, ökologischen und internationalistischen Bewegungen. Ihre heutige Krise ist der Tatsache geschuldet, so meine kurz zusammengefasste Überzeugung, dass sie diese Verankerung in den lohnarbeitenden Klassen nicht verstetigen konnte, dass ihre Mitgliedschaft sich nur unzureichend in den Dienst der lohnarbeitenden Klasse gestellt hat, sondern die eigene, oft akademisch privilegierte aktivistische Sicht und politische Handlungsweise zum Maßstab machte.“

Und Brie schließt ab mit der Feststellung:

„Schlemermeyers Artikel macht mehr als jeder andere, den ich bisher gelesen habe, deutlich, welche weltanschaulichen Tendenzen zur Spaltung der Linken beigetragen haben.“

Dass ich persönlich nach wie vor zu den Kern- und Grundaussagen des „Erfurter Programms“ stehe, hat mich bei dem Schritt auszutreten lange zögern lassen, dies aber nicht verhindern können. Denn Politik wird nicht durch Papiere und Programme gemacht, seien sie noch so klug formuliert. Es sind immer die Menschen und ihre Praxis, die Politik entscheidet. Ich kann nicht erkennen, wie bei der derzeitigen mehrheitlichen Zusammensetzung des Parteivorstandes und der Apparate im Karl-Liebknecht-Haus und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der ideologischen Ausrichtung wie der Praxis dieser Strukturen, eine ernsthafte und glaubwürdige Kurskorrektur erfolgen kann. Das scheint irreparabel.

Mit einer konsequent gewerkschaftlichen und interessenorientierten Grundhaltung bin ich erkennbar fehl am Platz. Und als jemand, der seit seiner Kriegsdienstverweigerung als Zeitsoldat der Bundeswehr über 50 Jahre für friedens- und abrüstungspolitische Ziele aktiv war, hat mich zudem die (höflich ausgedrückt) unklare Haltung der Parteispitze zur Friedensbewegung und den klaren Aussagen des Erfurter Programms nicht wenig entfremdet und befremdet. Dann sollte man besser gehen.

Ich möchte aber nicht gehen, ohne denjenigen in der Linken meinen persönlichen Respekt zu zollen, mit denen ich vertrauensvoll zusammenarbeiten durfte und konnte. Das gilt für Mitglieder des Kreisvorstandes Rhein-Erft, für die informell und Bundesländer übergreifend, aber erfolgreich arbeitende „Vernetzungsgruppe Strukturwandel Braunkohlereviere“, die Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft; und für viele andere nicht zuletzt in kommunalen Zusammenhängen und auch für Mitglieder des Bundestages. Mein Respekt gilt allen, die das linke, soziale und friedenspolitische Profil zu wahren suchten. Das Engagement dieser politischen Freundinnen und Freunde möchte ich hoch anerkennen.

Ich empfinde die Entwicklung auch als persönliche politische Niederlage, bitte aber, das nicht als politisches Jammern zu verstehen sondern als objektive Feststellung.

Mein Mandat und meine Funktionen im Kreistag werde ich – wie mit den Mitgliedern der Fraktion auf einer Klausursitzung am letzten Wochenende ausführlich beraten und gewünscht – auf der inhaltlichen Grundlage der Fraktion, d.h. auf Basis des Kommunalwahlprogramms 2020, fortführen.

Hans Decruppe


Auf ergänzende Nachfrage der Presse habe ich geantwortet:

„Ihre Rückfrage liegt in der Tat auf der Hand, ist aber zum jetzigen Zeitpunkt klar mit „Nein“ zu beantworten. Ein Parteiwechsel war nicht das Motiv meines Parteiaustritts aus der Linken. Wenn dann hätte ich es auch mitgeteilt.

Mir ist schlicht die politische Heimat abhandengekommen; deshalb mein Austritt. Ob es parteipolitisch in diesem Sinne eine neue Heimat für mich geben wird, ist zweifelhaft. Das schließt nicht aus, dass ich mich in Zukunft wieder einer Partei anschließe, wenn dies aus rationalen Gründen Sinn ergibt. Parteien sind in diesem Staat schließlich ein wichtiges Instrument, um positive gesellschaftliche Meinungsbildung und Veränderungen zu bewirken.

Als Jurist habe ich gelernt, Entscheidungen erst dann zu treffen, wenn sie von der Sache her absehbar notwendig bzw. unausweichlich sind. In diesem Sinne ist ein Parteieintritt aktuell für mich nicht entscheidungsreif. Schließlich bin ich auch mit der politischen Arbeit im Kreistag und in der Kreistagsfraktion sehr gut ausgelastet.“